Von Südkorea nach Braunschweig: Die irre DM-Reise von Adrian König-Rannenberg
Verfasserin: Katharina Tontsch / Erlanger Nachrichten
Um an den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig teilzunehmen, nahm Adrian König-Rannenberg wahnwitzige Umstände in Kauf. Dann stürzte der Mittelstreckenläufer des LSC Höchstadt im Halbfinale. Und war dennoch glücklich.
Keine zwei Wochen, nachdem er die Zusage bekommen hatte, war es auch schon wieder vorbei. Montagnachmittag war Adrian König-Rannenberg bereits auf dem Rückflug nach Hause. Ins neue Zuhause. Seit Jahresbeginn wohnt der gebürtige Nürnberger in Busan, der zweitgrößten Stadt in Südkorea. Zu den Deutschen Meisterschaften wollte der Mittelstreckenläufer trotzdem unbedingt.
Es wurde eine sehr kurzfristige und überaus wahnwitzige Aktion. Am Ende blieb sogar der verdiente Lohn aus. Eine gute Idee aber sei es trotzdem gewesen, erzählt König-Rannenberg Dienstagmorgen deutscher Zeit den Erlanger Nachrichten am Telefon. Er sitzt gerade im Zug nach Busan, die letzten Kilometer auf einer langen verrückten Reise.
Genau zwei Wochen zuvor hatte er erfahren, dass er bei den Deutschen Meisterschaften starten darf. „Obwohl ich in diesem Jahr kein einziges Rennen hatte“, sagt König-Rannenberg. Seine Zeit von 3:46,90 Minuten aus dem Vorjahr aber reichten dem DM-Sechsten von 2019 in dieser speziellen Pandemie-Saison als Qualifikation.
Corona-Test und drei Wochen Sonderurlaub
„Innerhalb von drei Tagen habe ich alle bürokratischen Hürden genommen und einen Corona-Test gemacht.“ Auch sein Arbeitgeber ließ ihn ziehen. „Da hatte ich Glück.“ Die meisten Südkoreaner haben nur 15 Tage Urlaub im Jahr, König-Rannenberg hat 25. „Drei Wochen am Stück nicht im Büro zu sein, geht hier quasi nicht.“ Sein Chef erlaubte es ihm dennoch. Für eine Woche durfte er nach Deutschland, danach für zwei Wochen in Quarantäne. „Mein Jahresurlaub ist damit verbraucht.“
Der Läufer des LSC Höchstadt hat in Busan einen neuen Job angenommen. König-Rannenberg, Jahrgang 1993, arbeitet bei der in Asien bekannten Sportmarke „Descente“ als „Footwear Innovation Designer“, er entwirft Turnschuhe. Dabei geht es nicht um die Ästhetik, sondern um das technische Konzept. „Als Läufer kann ich meine Erfahrungen einbringen. Es ist meine Berufung.“ Als er nach einem Praktikum bei einem deutschen Sportartikel-Hersteller nicht weiterkam, bewarb sich der Nürnberger weltweit.
In Südkorea ein „Alien“
„Dass ich nach Südkorea gegangen bin, bereue ich nicht“, meint König-Rannenberg, „auch wenn es kulturell und kommunikativ manchmal schwierig ist“. Er sei eben der Exot. Die Südkoreaner nennen Ausländer „Alien“. Als Leichtathlet hat man es in Busan auch nicht leicht. „In dieser Stadt mit 3,8 Millionen Einwohnern gibt es nur drei Stadien mit einer 400-Meter-Bahn“, sagt König-Rannenberg. Trotzdem hat er achtmal pro Woche trainiert. Für längere Einheiten lief er die Strandpromenade entlang. Immer alleine, als „Alien“ darf er sich weder in einem Verein anmelden noch bei Rennen starten.
Ohne Wettkampfpraxis reiste König-Rannenberg zur Deutschen Meisterschaft. „Ich hatte nichts zu verlieren.“ Der Nürnberger hatte längst gewonnen: Er hatte seine Familie und Freunde besucht, er durfte bei einem 1.500-Meter-Rennen starten, er stand in diesem großen Stadion in Braunschweig. „Das hätte ich noch eine Woche zuvor nicht zu träumen gewagt.“
Ein Sturz im Halbfinale und dennoch ein Happy End
Sein Halbfinal-Lauf war genauso verrückt wie die Vorgeschichte. Es entwickelte sich ein taktisches Rennen. „Niemand machte Tempo. Ich war immer an der Spitze“. Wenn auf der Mittelstrecke alle bummeln, läuft es auf einen Schlusssprint hinaus. „Das ist meine Stärke“, sagt König-Rannenberg. Als die Glocke zur letzten Runde klingelte, ging das Gerangel los. „Es war richtig eklig.“ Im Bruchteil von einer Sekunde war es vorbei. „Es ging so schnell, ich sah zwei Leute vor und neben mir stürzen, einen Schuh“, dann lag auch der LSC-Läufer am Boden. Spikes hatten seinen rechten Oberschenkel aufgeschlitzt, Blut tropfte auf die Bahn.
Mit einem anderen Gestürzten lief König-Rannenberg ins Ziel, abgeschlagen hinter der Konkurrenz und ohne Chance aufs Finale. Er hatte das Feld angeführt, nun war er Letzter. Als ihn später die Sanitäter behandelten, grinste er trotzdem. „Mir war das gar nicht so bewusst, doch auf allen Bildern, die meine Schwester gemacht hat, lache ich.“ 17 Stunden Anreise, eine Woche in Deutschland, den gesamten Jahresurlaub verbraucht — für nur 4:14.78 Minuten. „Ja“, sagt König-Rannenberg, „so ist das.“ Dann ist das Telefonat zu Ende. Sein Zug hält in Busan.